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Kleintierpraxis





       gessen Sie außerdem nicht, darauf zu achten, was   kehrschluss, Sie würden Ihrem
       Ihnen Ihr Hund über seine momentane Verfassung   Hund alle Mahlzeiten  „gratis“
       „sagt“: Ein Hund, der scheinbar den Gehorsam ver-  servieren, quasi auf dem gol-
       weigert, kann auch krank sein oder Schmerzen   denen  Tablett und ohne, dass
       bzw. orthopädische Probleme haben! Auch sollten   er etwas dafür tun muss. Lassen
       Sie wissen: Wenn ein Hund gerade stark abgelenkt   Sie ihn doch ruhig ein wenig für
       oder aufgeregt ist, dann ist er rein physisch nicht in   sein Futter arbeiten – das müs-
       der Lage, Signale von uns zu empfangen – die kom-  sen Sie schließlich auch für Ihr
       men in seinem Gehirn erst gar nicht an.  Geld! Hinzu kommt, dass es für
       „Der weiß genau, was er getan hat!“ Wohl jeder   Hunde artgerecht ist und es sie
       Hundehalter hat diese Situation schon einmal er-  glücklich macht, einen Teil des
       lebt: Sie kommen nach Hause – und es erwartet   Tages mit Nahrungserwerb zu-
       Sie der ausgeräumte Mülleimer, die zerrissene Zei-  zubringen.  Und –  machen  wir
       tung, der angefressene Pantoffel oder eine ähnliche   uns doch nichts vor: Wie sieht
       „schöne Bescherung“… Je nachdem, wie groß der   denn die Alternative aus? Wenn
       Schaden ist, ist ein ordentlicher Fluch vorprogram-  nicht die Aussicht auf eine Be-
       miert.  Und  was  macht  Ihr Hund:  Der  kriecht  auf   lohnung die Antriebsfeder für
       dem Bauch, macht „gut Wetter“ oder alternativ ei-  Ihren Hund ist, mit Ihnen zu
       nen großen Bogen um Sie. „Er weiß, was er getan   kooperieren (und  für die  mei-
       hat – und jetzt hat er ein schlechtes Gewissen“. Die-  sten Hunde ist Futter eben die
       se Schlussfolgerung liegt in Anbetracht seines Ver-  Belohnung Nr. 1), dann ist es in
       haltens nahe – und führt leider häufi g auch dazu,   aller  Regel die Motivation,  ei-
       dass wir den Übeltäter im Nachhinein noch bestra-  ner drohenden Strafe für uner-
       fen (schließlich ist er sich seiner Untat offensichtlich   wünschtes Verhalten zu entge-
       ja bewusst). Aber Irrtum: Das „schlechte Gewissen“   hen. Und wenn ein Hund nur
       gibt’s bei Hunden nicht. Sie sind noch nicht einmal   mitarbeitet, weil es sonst Ärger
       in  der Lage, unsere  Schimpftirade  mit  ihren Mis-  gibt, würde doch keiner ernst-
       setaten in  Verbindung zu bringen.  Wenn Hunde   haft  auf den  Gedanken  kom-
       etwas tun – sei es gut oder schlecht, dann haben   men, der Hund arbeite für UNS
       wir maximal 1-2 Sekunden Zeit, darauf zu reagie-  – oder?
       ren. Nur dann sind sie in der Lage, unsere Beloh-  „Hunde dieser Rasse sind
       nung oder Bestrafung mit ihrem Verhalten in Ver-  eben  nicht  besser zu  erzie-
       bindung zu bringen. Alles, was danach kommt, ist   hen!“ Gehört Ihr  Vierbeiner
       zwecklos. Aber wie lässt sich dann das Verhalten   auch einer jener Hunderas-
       unseres Hundes erklären, wenn er so aussieht, als   sen an, die als irgendwie „stur“,
       wäre er reumütig? Nun, Hunde sind ziemlich sensi-  „dickschädelig, „eigenständig“
       ble Geschöpfe. Sie registrieren schnell unsere Stim-  oder  „schwer erziehbar“ gel-
       mung. Wenn sie merken, dass wir aufgebracht oder   ten?  Sie nicken? Dann  leben
       wütend sind, dann reagieren sie entsprechend. Ei-  Sie vielleicht mit einem Da-
       nige schlagen dann einen Bogen um uns und ver-  ckel, einem Beagle, einem Ver-
       suchen, uns aus dem Wege zu gehen. Andere tun   treter der zahlreichen  Terrier-
       alles, um „gut Wetter“ zu machen und uns wieder in   Rassen, einem Herdenschutz-
       Stimmung zu bringen. Aber verstehen, warum wir   hund, einem Windhund, einem
       so aufgebracht sind – das tun sie nicht.  Schlittenhund, einem …. zu-
       „Er soll nicht für Futter arbeiten, sondern für   sammen? Ja, die Liste ist lang.
       MICH!“ Mal eine Frage: Was tun SIE denn umsonst?   Fast könnte man meinen, dass
       Würden Sie jeden Tag zur Arbeit gehen und gute   alle Hunde jenseits des Hüte-
       Leistungen bringen, wenn es dafür allenfalls ein   hundespektrums, deren  Vertreter meist als das   hat in ihrem lesenwerten Buch „Es würde Knochen
       lobendes Wort gäbe? Auch, wenn Sie Ihre Arbeit   Maß aller Dinge genommen werden, „irgendwie   vom Himmel regnen“ einen interessanten Versuch
       gerne machen: Sie würden garantiert sparsam gu-  schwer erziehbar“ sind. Und damit gibt’s für jeden   beschrieben, den Verhaltensforscher angestellt ha-
       cken, wenn am Ende des Monats ein Schulterklop-  Hund auch die perfekte Entschuldigung, wenn   ben. Testobjekte waren Lehrer: Einer Gruppe von
       fen und ein überschwängliches Lob von Ihrem   Dinge nicht so klappen: „Mit dem kann man nicht   Lehrern wurden Klassen von vermeintlich talen-
       Chef Ihre Entlohnung sein sollten. So ähnlich geht   mehr erreichen, das liegt an der Rasse“. Oder noch   tierten, intelligenten Schülern zugeteilt. Eine ande-
       es auch Ihrem Hund. Dass Sie ihn für seine Arbeit   schlimmer – es wird auf Druck gesetzt, um den ver-  re Gruppe von Lehrern sollte Klassen unterrichten,
       entlohnen, ist überhaupt nicht verwerfl ich! Und   meintlichen Dickschädel zur Raison zu bringen:   die mit vermeintlich langsam lernenden, eher min-
       mal andersrum: Wenn Sie im Training auf Futter-  „Der ist eben stur, und man muss sich ordentlich   derbemittelten Schülern  besetzt waren.  In  Wirk-
       gaben verzichten würden, dann hieße das im Um-  durchsetzen, damit es klappt.“ Suzanne Clothier   lichkeit gab es keine Unterschiede – in allen Klas-





















                                                                                                B16 aktuell März 2020   - 35 -
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