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Keintierpraxis
und ohne Angst fort auf mit meinen Handlungen und warte bis sie
Blut genommen wieder bereit ist zu kooperieren und ihr Kinn in mei-
wird oder die ne Hand legt. Der Schlüssel zum Erfolg ist ein klein-
Zähne kontrolliert schrittiger Aufbau mit hochwertigen Leckereien. Je
werden können unangenehmer die Prozedur für den Hund, desto
usw. Einen Gorilla hochwertiger sollten die Leckerchen sein, es muss
Blut zu nehmen sich ja schließlich lohnen, dass der Hund kooperiert.
funktioniert nicht, Zu Beginn übt man zuerst das Kooperationsverhal-
indem man ihn ten, wie in meinem Fall das Kinn in die Hand legen.
am Behandlungs- Es gibt aber genügend andere Möglichkeiten, die
tisch runterdrückt vielleicht je nach Mensch-Hund-Team besser ge-
und einfach mal eignet sind. Die Seitenlage wäre noch eine gute
schnell festhält. Möglichkeit, oder das Kinn auf einen Tisch (je nach
Aber mit dem rich- Hundegröße auch einen Gegenstand) ablegen
haben schlechte Erfahrungen gemacht, denn sonst tigen Training lassen sich Tiger, Giraffen, Gorilla usw. oder auch nur eine Leckerchendose anstarren. Man
würden sie nicht so reagieren. ABER die schlechten auch ohne Stress oder Sedierung Blut nehmen. Ja kann auch verschiedene Kooperationsverhalten
Erfahrungen muss man nicht zwingend mitbekom- sogar Delfi ne und Seelöwen kommen an die Was- aufbauen. Ich nehme, wenn ich mit Easy übe, immer
men haben. Da reicht es schon, wenn beim ersten seroberfl äche und bieten freiwillig an, dass ihnen die gleiche Decke raus und die gleiche Leckerliedo-
Tierarztbesuch ein anderer Hund in Panik gerät und Blut genommen wird oder ein Trächtigkeitsultra- se, dann weiß sie schon was los ist und freut sich auf
der eigene das mitbekommt. Das allein zählt schon schall gemacht wird. Das sollte dann bei unseren die Übungen. Dann kann das Training auch schon
als schlechte Erfahrung und der Hund speichert Haushunden oder -katzen tatsächlich ein Klacks starten. Mit dem Leckerchen führe ich das Kinn von
den ersten Tierarztbesuch als gefährlich ab, obwohl sein. Man muss nur wissen wie. Easy in meine Hand und gebe das Markersignal
er selbst nur zum wiegen da war. Denn es zählt Das Wichtigste beim Medical Training ist: Der Hund („Klick“), wenn das Kinn meine Hand berührt. Mit
das, was der Hund empfi ndet und nicht was der hat das Sagen! Ja genau, der Hund darf „Nein“ sa- der Zeit zögere ich das Markersignal immer weiter
Mensch denkt, was in seinen Augen gefährlich ist. gen, wenn es ihm zu viel wird. Und genau das ist
Krallen schneiden zum Beispiel ist ja nicht schlimm. der Schlüssel zum Erfolg. Denn das fördert das Ver-
Ja, eigentlich nicht, denkt man sich. Aber viele Hund trauen. Ein Hund, der weiß, dass er jederzeit eine
mögen es zum Beispiel schon nicht, wenn man die Prozedur abbrechen kann, die ihm unangenehm
Pfoten festhält. Das heißt hier fühlt sich der Hund ist, ist viel kooperativer als ein Hund, der gelernt hat,
schon etwas unwohl. Dann kommt noch hinzu, dass nicht auf seine Signale gehört wird. Und ganz
dass es ein komisches Geräusch macht, wenn man nebenbei wird auch noch die Bindung zum Hund
die Kralle abzwickt. Der Hund zuckt und wird dann gestärkt, denn der Hund lernt, dass er sich auf sei-
aber festgehalten, damit er nicht vom Tisch springt. nen Besitzer verlassen kann und dieser keine Gren-
Und zack, der Hund hat eine schlechte Erfahrung zen überschreitet. Aber wie merkt man, dass der
gemacht. Obwohl in Menschenaugen eigentlich Hund nein sagt? Dazu wird das sogenannte Koope-
nichts Schlimmes passiert ist. Das heißt natürlich rationssignal aufgebaut. Ein Kooperationsverhalten
nicht, dass man den Hund dann vom Tisch springen ist eine bestimmte Verhaltensweise, die der Hund
lässt und man einfach nichts mehr macht. Nein, das ausführt, wenn bei ihm alles okay ist. Bricht er die-
heißt hier muss man trainieren! Wie das geht, dazu se Verhaltensweise ab, heißt dass „Nein“, der Hund
hatte ich schon mal einen Artikel geschrieben. braucht eine Pause. Aufgebaut wird ein solches Ko-
Und genau hier setzt das Medical Training an. Me- operationsverhalten ganz kleinschrittig. Man kann
dical Training heißt nichts anderes, dass ich mit sich das als ein Signal wie Sitz vorstellen, dass dann
meinem Hund oder meiner Katze medizinische unter den verschiedensten Ablenkungen geübt
relevante Vorgänge trainiere, so dass das Tier dann wird. Meine Easy zum Beispiel hat als Kooperations-
im Ernstfall möglich wenig Stress dabei hat. Und das verhalten, dass sie ihr Kinn in meine Hand legt. Ist
Schönste dabei, es funktioniert! Es funktioniert so- ihr Kinn in meiner Hand, heißt das für mich, ich kann
gar sehr gut! Googelt doch einfach mal Medical Trai- mit meinen Handlungen starten, z.B. Zecken entfer-
ning Zootiere. Da gibt es super schöne Videos bei nen, Blut nehmen, Krallen schneiden, etc. Wenn sie
Youtube, bei denen gefährlichen Tieren ohne Stress ihr Kinn aus meiner Hand nimmt, dann höre ich so-
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