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Kleintierpraxis






                                                           beobachten, anstatt sie sel-  senschaftler nennen. Da ticken die Menschen
                                                           ber auszuführen. Wir brau-  nicht viel anders. In der Altsteinzeit lebten und
                                                           chen nur zu sehen, wie je-  jagten unsere Vorfahren exakt wie die Wölfe auch.
                                                           mand in eine Zitrone beißt,   Sie jagten im gleichen Gebiet dasselbe Wild mit
                                                           schon zieht es uns selbst   denselben kollektiven Methoden. Nur verfügten
                                                           den Mund zusammen. La-  die Wölfe über sehr viel mehr Erfahrung mit der
                                                           chen und Gähnen sind Ver-  Jagd auf das Großwild der Kaltsteppen und insbe-
                                                           haltensweisen, die hierfür   sondere über die besseren Sinne. Der Mensch, der
                                                           besonders anfällig sind. Ja-  als Greenhorn vor 40.000 Jahre dazu stieß, hatte
                                                           panische Forscher haben   allerdings die höhere Intelligenz, enorme Anpas-
                                                           nachgewiesen, dass dies   sungsfähigkeit und später auch die besseren Waf-
                                                           auch zwischen Hund und   fen. Auf der Pirsch, beim Jagen, an der Beute und
                                                           Mensch gelingt. So fangen   am Aas müssen sich Mensch und Wolf immer wie-
                                                           Hunde bereits an zu gäh-  der in die Quere gekommen sein. Sie müssen sich
                                                           nen, wenn sie einen gäh-  bestens gekannt haben. Vielleicht haben sich Tra-
                                                           nenden Menschen gezielt   ditionen der Zusammenarbeit entwickelt, die sie
                  Das soziale Gehirn        im Fernseher anschauen. Dies wirkt umso anste-  es heute noch etwa bei Wölfen und Raben gibt.
           von Hund und Mensch tickt ähnlich.  ckender, je vertrauter diese Person ist; auch hier ist   Jedenfalls  sind Wolf  und  Mensch  zusammenge-
       Die Ergebnisse sind recht eindeutig. Wenn wir den   bei Mensch wie Hund derselbe Effekt zu beobach-  kommen und so der Hund entstanden.
       eigenen Hund anschauen, werden dieselben Re-  ten, innerhalb der eigenen
       gionen unseres Gehirns aktiv, wie wenn wir einen   Spezies aber auch unterei-
       menschlichen Freund anschauen.       nander. Forscherinnen wie
                                            Teresa Romero werten das
       Das wurde 2016 durch Messungen am Califor-  als Hinweis auf die Fähig-
       nia Institute of Technology ein weiteres Mal be-  keit des Hundes, sich ge-
       stätigt. Ähnlich im Hundegehirn: Hier werden ex-  fühlsmäßig in einen ihm
       akt dieselben Regionen wie beim Menschen ak-  nahestehenden Menschen
       tiv. Gregory Berns in den USA und Adam Miklósi   hineinzuversetzen,  also
       in Ungarn konnten das in verschiedenen Studien   Empathie zu entwickeln.
       zeigen. Sie trainierten Hunde so, dass sie bei der
       Lösung ihrer Aufgaben absolut ruhig und mit Ge-  Steinzeitmensch und
       hörschutz im heute noch sehr laut arbeitenden   Wölfe: soziale Jäger
       Tomographen liegen bleiben und man so ihr Ge-  Wenn man sich die Le-
       hirn bei der Arbeit beobachten kann. Die Ähnlich-  bensweise von Wölfen ge-
       keiten in der Funktion der sozialen Gehirnzentren   nauer anschaut, so wun-
       zwischen Hund und Mensch erwiesen sich als ver-  dern  solche  Fähigkeiten
       blüffend. Es gibt noch einige weitere Studien, die   nicht.  Wölfe sind hochso-
       solche Ergebnisse zeigen. Es ist daher legitim, da-  ziale Beutegreifer, die als
       von auszugehen, dass Hund und Mensch ähnlich   Gruppe Großwild wie den
       fühlen.                              Bison jagen. Sie arbeiten
               Wie sieht das der Hund?      bei der Jagd in genau ab-
                                            gestimmten Rollen. Jeder
       Wenn wir gestresst von einem Arbeitstag nach   muss die Arbeit der Grup-
       Hause kommen, vielleicht noch im Stau gestan-  pe im Kopf haben und
       den und die Hälfte des Einkaufs vergessen haben   seine eigene darauf fl exi-
       egal, unser Hund freut sich tierisch. Doch ist es nur   bel  je  nach  Lage  einstel-
       menschlich, ihm damit Freude über uns als Person   len.  Von der Gruppe wer-
       oder gar Freund zu unterstellen? Oder freut er sich   den die Jungen großgezo-
       nur, schlicht weil, wie jeden Tag, 20 Minuten später   gen, ja sogar kranke Exem-
       der Futternapf gefüllt sein wird? (Das ist mir auch   plare mitversorgt. Nur als
       schon das eine oder andere Mal durch den Kopf   Gruppe können die Wölfe
       gegangen, wäre ja auch logisch.)
                                            überleben. Das erfordert
       Der Neurophysiologe Giacomo Rizzolatti ent-  Empathie und auch ein in
       deckte 1992 die Spiegelneurone. Diese Nervenzel-  den  anderen  Hineinden-
       len sorgen dafür, dass dieselben Teile unseres Ge-  ken, oder eine „Theory of
       hirns aktiviert werden, wenn wir eine Tätigkeit nur   Mind“  (TOM)  wie es  Wis-





















                                                                                                 B16 aktuell  Juni 2020   - 23 -
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