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Kleintierpraxis
hab ich in meinem Leben noch nicht gehabt, Dreck zum Thema: Tatsächlich ist es so, dass
dreckerter. Als wir in Pentling wieder auf die Auto- die meisten physiologischen Merk-
bahn Richtung Regensburg drauffahren, ist … Stau. male darauf hindeuten, dass Hunde
Endlich sind wir auf der Auffahrt Richtung Sinzin- Fleischfresser sind. Allerdings spricht
ger Brücke, freuen uns dass es jetzt mit der Fahrt auch vieles dafür, dass Hunde im Ge-
nach Köln doch noch losgeht, als wir 200 Meter vor gensatz zum Wolf ein deutlich wei-
der Sinzinger Brücke stehen bleiben … Stau, dies- teres Nahrungsspektrum haben.
mal komplett. Eineinviertel Stunden später geht es Hunde und Beutetiere?
zäh über die Sinzinger Brücke, Vollsperrung, runter Aussagen wie „Genau wie Wölfe er-
und über die Pampa nach Nittendorf. Zwei Stunden
nach unserm Start in Wenzenbach fahre ich bei Nit- nähren sich Hunde von Beutetie-
tendorf auf die Autobahn. Um halb zehn sind wir in ren“ oder „Hunde sind darauf spezi-
Köln, wir kommen gut durch. Aber sieben Stunden alisiert, Beutetiere zu erlegen“ wür-
de voraussetzen, dass Hunde zum
im Auto, da könnt ich auch sonst wo sein.
Nahrungserwerb jagen. Tatsächlich
Natürlich hat mich die Frage beschäftigt, ob mein zeigen wissenschaftliche Berichte
Halskotelett schuld war, dass ich vor der Vollsper- aber, dass erjagte Beutetiere (je nach
rung nicht mehr durchgekommen bin und jetzt Region) nur einen geringen Teil des
eventuell den Lappen abgeben muss. Aber der Un- Speiseplanes von wild lebenden
fall war dann doch schon eher, wir wären halt dann Hunden ausmachen.
so länger gestanden.
Stattdessen zeigen die Untersu-
Und, es geht in unseren Zeiten gar nicht anders, ich chungen, dass sich wild lebende
denk schon, dass ein Zug auch aus umwelttech- Hunde vor allem von dem ernähren,
nischen Gründen besser wäre. Grad etz, wo alle was Menschen übrig lassen: nämlich
auf die Kids und die Greta schimpfen, muss man von Müll, Nutztier-Karkassen, Ernte-
sich überlegen, wo dieser ganze Zorn herkommt. resten und auch menschlichen Fä-
Also, ich hab schon ein schlechtes Gewissen, weil kalien.
in Sachen Energieverbrauch, CO2 Ausstoß, Müllver-
brauch, Ernährungsverhalten etc. bin ich nicht sau- In einer Studie zu der Nahrungszu-
ber. Da hilft es wenig, auf die zu schimpfen, die den sammensetzung von frei lebenden
Hunden in Zimbabwe zeigt zum
Finger in die Wunde legen, sondern man muss sich Beispiel, dass sich die Hunde dort zu knapp einem sich schon, wie fl exibel sich Hunde an die vorhan-
fragen, wie es weitergehen kann. Sehr schwieriges denen Gegebenheiten anpassen. Aber auch Streu-
Thema, aber beleidigt und zornig reagieren ist si- Viertel von menschlichen Fäkalien ernähren. Ein ner in Stadtgebieten sind nicht besonders wäh-
cher ned die Lösung. weiteres Viertel macht der von Menschen zugefüt- lerisch, wenn es um die Zusammensetzung ihrer
terte Getreidebrei (sadza) sowie selbst gefundene
In Köln angekommen, werden wir reichlich bedau- Früchte aus. Etwa 50 % der Nahrung besteht aus Nahrung geht. Viele von ihnen leben auf Müllde-
ert und mit reichlich Fleisch vom Grill versorgt. Auch Aas. Allerdings handelt es sich hierbei zum Großteil ponien und bekommen ihr Futter dort täglich „frei
das gibt mir in letzter Zeit immer mehr zu denken, um Karkassen der Nutztiere, bei dem alle vom Men- Haus“ geliefert.
wie viel Konsum ist vertretbar. Wurscht, i bleib etz schen verwertbaren Teile bereits entfernt wurden. Auch Gerd Leder, Biologe und Rassenexperte, be-
mal mehr dahoam, fahr mit dem Rad, wo es geht, iss Der Anteil der erjagten Beutetiere ist sehr gering. stätigte das in einem sehr informativen Telefonat.
Fleisch nur noch in kleinen Stücken. Überhaupt ist Gerd hat wild lebende Hunde in Indien beobach-
Mäßigung mein Thema, nimmer so viel essen, we- Auch eine Untersuchung des Speiseplans wild le- tet. In den dortigen Großstädten sind Hunde da-
nig Alkohol und Genussmittel (Kaffee …), weniger bender Hunde in Zentralindien hat ergeben, dass für verantwortlich, weggeworfene, schnell verderb-
Fleisch, aber halt in kleinen Schritten. Der zweitbeste gerade einmal 11 % der Futtermenge selbst erjagt liche Lebensmittel zu entsorgen. Dabei handelt es
Hund von allen kriegt jetzt auch weniger, das tut ihr werden. Der restliche Anteil der Nahrung setzt sich sich meistens um vegetarische Dinge wie Reis und
gut und schmälert den Fettansatz. Überhaupt, wie aus Ernte-Abfallprodukten, Müll und Aas von Nutz- scharfe Gemüsesoßen. Auch hier macht Fleisch
steht es mit unserem Überfl uss, den wir ja 1:1 auf vieh zusammen. eher einen geringen Anteil des Speiseplanes aus.
den Hund übertragen. Ist das ok? Da hab ich unter Die Nahrungszusammensetzung frei lebender Auch aus einem ökologischen Blickwinkel macht
viel Pseudoschmarrn einen interessanten Beitrag Hunde im südlichen Chile entspricht mit 36 % Haus- es Sinn, dass wild lebende Hunde eben nicht mehr
von Frau Dr. Nitzscher gefunden, der lautet: haltsresten, 26 % Früchten und Sämereien, 19% hauptsächlich von Beutetieren leben. Dann würden
„Hunde sind Fleischfresser“ Nutzviehkarkassen und ca. 20 % Beutetieren auch sie nämlich die gleiche (oder zumindest eine sehr
nicht unbedingt dem BARF-Konzept. Die Beutetiere
diese Aussage liest man immer wieder. Meist wird setzen sich aus ca. 1/3 Insekten und 2/3 kleineren ähnliche) ökologische Nische wie der Wolf bzw. an-
dann auch noch gesagt, dass die natürliche Ernäh- Nagern sowie Hasen zusammen. dere Canidae besetzen. Da Wölfe aber deutlich bes-
rungsweise von Hunden Beutetiere wären. In An- ser an das Jagen von Beutetieren angepasst sind,
lehnung an diese Aussagen entwickelten sich Er- Meister der Anpassung würde es für Hunde sehr schwierig sein, gegen die-
nährungskonzepte, deren Grundlage die Zusam- Die erwähnten Studien beziehen sich vor allem auf se Nahrungskonkurrenten zu bestehen.
mensetzung vermeintlicher Beutetiere ist. Zurück frei lebende Hunde im ländlichen Bereich. Hier zeigt Stattdessen haben sie sich an eine neue Umwelt an-
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